Welcher Biker will ich sein?

Im betriebsamen indisch/asiatischen Ausland liegt für Motorradfahrer die Antwort auf die Frage, was die Attraktivität von Zweirädern ausmacht, auf der Hand: Fahr-, Leichtkraft- und Motorräder sind kostengünstige Alternativen zum automobilen Individualverkehr und werden darin dank oft günstiger klimatischer Bedingungen nicht einmal durch immanente Frostbeulengefahren in die Schranken gewiesen.

Anders hierzulande, wo eher Emotionalisten den Ton angeben und ihren Gefährten gänzlich andere Merkmale als nur praktische Vorteile zuschreiben: Freizeitgeräte und Spaßmaschinen sowie, falls Spaß und Muße zur Passion mutieren, Gestalt gewordene Lebensphilosophien.

Ästheten

Motorrad-Ästheten sind schlicht in die Designführung verliebt, mit der moderne oder ältere Motorradtechniken in Fahrwerke integriert sind. Gekauft wird mit dem Auge, die zu Grunde liegenden Werte sind zwar nicht unwichtig, aber oft zweitrangig.

Das gilt so auch für eine Unterform der Ästheten, die cool daherkommen durchaus und ohne Bedauern als Selbstzweck betreiben. Für sie besitzt der individuell-ästhetische Faktor den höchsten Stellenwert und über kurz oder lang wird ihre Leidenschaft sie direkt in die Customszene führen – wenn sie dort nicht längst beheimatet sind. Genügend Geld benötigt dabei zumindest die erste Gruppe, um den aktuellsten heißen Scheiß direkt vom Händler mit nach Hause nehmen zu können. Für die zweite ist demgegenüber Geschick unbedingte Voraussetzung, damit das Motto „If you can’t buy it, build it“ nicht im finanziellen Desaster endet.

Triumph Speed Twin

Custom Bike: Customized Triumph Speed Twin by Machbar Industries.

Erkennungszeichen: Bike mit blickgefälligem Lenker ausgekleidet, eher customized als gepimpt, bei viel Detailpflege und – wo sinnvoll – entsorgter Serienausstattung. Puristen schrecken dabei nicht einmal vor Bobberreifen mit Steinzeitprofilen zurück, fahrtechnische Katastrophen, aber geil anzusehen.

Ziel: Wie gesagt: dem Auge schmeicheln.

Vorkommen: Stadtstraßen, Schrauberbuden, Motorrad-Treffpunkte, Cafés, TÜV-Stationen (Letztere gerne mehrmals hintereinander).

Bikes: Nichtschrauber springen für eine Saison auf den neuesten Schrei der Szene, Selbstschrauber denken langfristiger und tendieren zu wertstabilen Modellen in akzeptablem Zustand und mit genügend Spielraum für optische Upgrades. Beliebt für Custom-Projekte sind beispielsweise Bikes wie Hondas CB-Modelle, Triumph Bonnevilles, Suzukis 650er und – man höre und staune – BMWs der Modellreihen R 35 bis R 80.

Freizeit-Rossis unter 30

Junge Freizeit-Rossis stehen beim Motorradfahren auf die sportlichen Komponenten Ihres Hobbys, verlassen hierfür bereitwillig die Komfortzonen von Serienbikes und erziehen ihren Untersätzen die bestmögliche Fahrbahnhaftung an.

Honda-Racer

Honda-Racer/Streetfighter (Foto: Lukas Heikendorf)

Erkennungszeichen: Tiefe Stummellenker, Bock gepimpt, Serienausstattung gegen Upgrades ausgetauscht, wo sinnvoll und notwendig (Federung, Bremsen, Hebel, Reifen, etc.).

Ziel: Optimales Fahrwerk zum um die Ecke zwiebeln.

Vorkommen: Landstraßen, Autobahnen, stillgelegte Flughäfen, Rennstrecken und Motorrad-Treffpunkte.

Bikes: Rennfreaks stehen auf Mittel- und Oberklasserenner wie beispielsweise Kawasakis ZX-6R, Yamahas YZF-R6 (und andere Rx), Suzukis GSX-R 1000, Hondas CBR Fireblade und diverse Ducatis.

Freizeit-Rossis über 30

Junggebliebene, aber leider zeitlich verschlissene Freizeit-Rossis entsprechen im philosophischen Grundgerüst ihren jüngeren Kollegen, neigen aber zu hohen Stummel- sowie bei weiterem Fortschreiten der Zeit und Rückenzipperlein zu Superbike-Lenkern. Erkennungszeichen: Superbike-Lenker, wie gesagt, sowie (schleichend Einzug haltend) TomTom-Navi und Tankrucksack.

Ziel: Optimales Fahrwerk zum um die Ecke zwiebeln, ohne sich körperlich verausgaben zu müssen.

Vorkommen: Landstraßen, nahegelegene POVs, Motorrad-Treffpunkte.

Bikes: Siehe oben ‚Freizeit-Rossi unter 30‘. (Ein wenig interessant dabei: Die letzte Altersklasse unterhalb der Heimunterbringung (Ü60) präferiert eindeutig PS-Boliden …)

(Feierabend-)Rebellen

Echte Rocker unter und verkleidete Zahnärzte/Anwälte über 50 Jahre auf der Uhr stehen auf Harleys (und ‚Harley Parking only‘-Schilder, die in der Regel aber nicht mitgeführt werden).

Indian

Fette Indian: In freier Wildbahn oft an Wasserstellen gesichtet (Kiosk, Cafés, etc.).

Erkennungszeichen: Jeans, Jethelme und Sonnenbrillen auf hochglänzenden Serienböcken mit Auspuffreglern.

Ziel: Böse rüberkommen und klare Abgrenzungen zu den Puschenfreunden demonstrieren – sowie bei der Gelegenheit auch den Rossis, Geländejüngern und eigentlich allen anderen (sowas macht halt Rebellen aus). Außer zu den Ästheten, deren Eigenbauten sie gerne bewundernd abnicken.

Vorkommen: Clubheime (Rocker), Motorrad-Treffpunkte (Zahnärzte/Anwälte).

Bikes: Harley Low Riders, Triumph Bobber, Indian Bobber sowie generell alles Chopper-artige mit nicht mehr als einem Sitzplatz.

Puschenfreunde

Die Sofa- und Sesselfraktion, früher als Jauchepumpen- und BMW-Fahrer verunglimpft, verfügt über ihren eigenen Stil. Einen, den man wirklich mögen muss, um ihn ertragen zu können (zusammen mit der Büse-Kollektion), aber, und das zeichnet alle Motorradfans aus, Biker kennen keine Diskriminierungen Andersdenkender, Andersaussehender oder Andersfahrender, mögen sie auf noch so befremdlichen Geräten vorbeituckern.

BMW

BMW: Ja, krass, ne. Hättste das gedacht? Geht auch anders als mit Packtaschen, Tankrucksack und Sozius.

Erkennungszeichen: Vereinzelt Superbike-Lenker, sonst Bock in Serienausstattung plus Koffer, Tankrucksack, Sozia, etc.

Ziel: Motorrad zu Auto ohne Dach und auf zwei Rädern machen.

Vorkommen: Straßen im Euroraum (kommen am meisten rum), Fachhandel (Rolo und Lois Lane) sowie Motorrad-Treffpunkte.

Bikes: BMW, keine Frage.

Geländegänger

Enduros und Motocross/Trial-Maschinen, allgemein bekannt als Dirtbikes, fühlen sich dort am wohlsten, wo der Untergrund zur Herausforderung wird. Das gilt ebenso für ihre Fahrer(innen). Punkt.

Crosser

Um dorthin zu gehen, wo man/frau nicht mal sitzen muss, um Spaß zu haben … (Foto: Ronald Plett, Pixabay License).

Erkennungszeichen: Hochgebautes Bike, wenn verändert, dann technisch.

Ziel: An Selbigem ankommen.

Vorkommen Enduros: Stadt (auf dem Weg zur Schule), Feldwege, Landstraßen (auf dem Weg zum Feldweg), legal befahrbare Waldwege, ab und an und aus Versehen die Halfpipe. 

Vorkommen Motocross: Kiesgruben, ausgewiesene Strecken.

Bikes: Ruppige Einzylinder mit nicht allzu großen Hubräumen – und falls doch mal ein Bolide gesichtet wird, dann eher auf der Straße als im Gelände.

Praktiker

Ja, ganz vergessen, es gibt sie doch. Auch hierzulande: Die Praktiker, die weder Roller- noch Mofafahrer sind. Sie fahren aus Überzeugung Moppeds mit Charakter, praktisch nie neu, aber technisch in Schuss und gezielt Richtung Handlichkeit, Wendigkeit und Alltagstauglichkeit getrimmt. Sogar bei Regen. Womit sie die größte Gruppe derjenigen bilden, die der Klimakrise trotzen und den ökologischen Fußabdruck aller mindern. (Zumindest sieht es so die australische Stadt Melbourne, die in ihrem ambitionierten Motorcycle Plan die steile These aufstellt, dass sich die in Staus verbrachte Zeit um 63 % verringerte, wenn 10 % aller derzeitigen Autofahrer der Region auf Zweiräder umstiegen.)

Erkennungszeichen: Streetbar-Lenker, Serienausstattung entsorgt, soweit möglich, dezent aufgerüstet, soweit sinnvoll.

Ziel: Fahren.

Vorkommen: Landstraßen, Feldwege, Stadt, eigentlich überall.

Bikes: Alles, was zwei Räder hat, gerne Naked Bikes mit zwei und mehr Zylindern in Reihe oder als V-Motor.

125er

Eine Untergruppe der Praktiker sind die 125er-Fahrer, die vom Mobilisierungsgesetz für Autofahrer in die Szene gespült wurden und werden. Wir erinnern uns: Seit 2020 ist es Autofahrern erlaubt, bis zu 125 cm3 ohne Motorrad-Führerschein und Stützräder über die Straßen zu rollatoren. Prima für Pendler, denn Leichtkrafträder sind günstig, kosten wenig im Unterhalt, stoßen in Summe weniger Abgase in die Umwelt und sparen die Zeit, die man oder frau sonst in verstopften Straßen oder überfüllten Bussen verbringt.

Erkennungszeichen: Helm zu groß, Mopped wie vom Sohnemann stibitzt.

Ziel: keines.

Vorkommen: Straße vorm Haus und Schleichwege zur Arbeit.


Quellen/Links

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