Custombikes

Was sind Custombikes?

Wir alle haben eine ungefähre Vorstellung davon, was ein Custombike sein sollte: „Ein Serienmotorrad, das vom Besitzer abgespeckt, neu aufgebaut und hinsichtlich individueller Vorlieben optimiert wird, bis es eine unsichtbare Grenze überschreitet, die es deutlich von der ursprünglichen Basis abhebt und oftmals auch in eine andere stilistische Richtung bringt.“ In der Regel entspricht das Ergebnis dann einem der traditionellen Custombike-Designs wie BobberCafé RacerChopper oder Scrambler, einer neueren Variante wie StreetfighterRatbikeTracker oder Mischungen aus verschiedenen Stilen mit jeweils unterschiedlichen Gewichtungen.

Das konnte man lange Zeit so stehen lassen. Genaugenommen aber nur bis zu dem Punkt, als aus den ehemals rebellisch-sozialkritisch begleiteten Strömungen der 50er und 60er Jahre um den Bau von Bobbern, Café Racern und Choppern herum ein einträgliches Geschäft entstand und den Fokus von Rebellion und  Kreativität Richtung Konsum verschob. Biker-Gentrifizierung, sozusagen, ein Prozess ähnlich der Entwicklung, die preisgünstige ärmere Wohnviertel ereilt, wenn kreativ Begabte sie für sich entdecken und umgestalten, nur um selbst anschließend von nachrückenden wohlbetuchten Hipstern verdrängt zu werden. Hier wie dort gerät der kreative Anteil aus dem Blickfeld, während das (kaufbare) Endprodukt ins Rampenlicht rückt, sei es die schick-moderne Loftwohnung mit Ziegelsteinwänden und St. Pauli-Touch oder das im Shabby-Look gehaltene Retro-Motorrad mit Handy-Anbindung und Keyless Go. Eine in diesem Zusammenhang befragte KI musste deshalb auch nicht lange überlegen und brachte die Antwort auf die Frage, was denn ein Custombike sei, dem herrschenden Zeitgeist entsprechend auf den Punkt: „Custombikes sind Motorräder, die speziell auf die Wünsche des Besitzers hin angefertigt oder umgebaut wurden.“ Vorbei die Zeiten, in denen Custombikes das Ergebnis selbst aufgebauter Serienmotorräder waren, die sich eben nicht kaufen, sondern nur eigenhändig schrauben  ließen.

Was der Gattung ‚Custombikes‘ in der Zeit zwischen gestern und heute zustieß, war die wenig überraschende Entdeckung, dass betuchte Käuferschichten, die Schraubenzieher meist nur von der falschen Seite aus benutzen und schmutzige Hosen bestenfalls als Accessoires kennen, mehr Geld bringen als Selbstschrauber, die sowieso weitgehend abgegrast waren. Das war weiß Gott nicht dumm, denn es bedarf schon eines gewissen Wohlstands, bevor man es sich leisten kann, auf arm zu machen.

Außerdem trifft man in einer wohlhabenden Zielgruppe mit ausgeprägtem Statusbewusstsein angenehmerweise auch jene Käufer an, denen es egal ist, dass mit dem Handel eines Custombikes auch dessen Entwertung einhergeht. Besser noch, helfen die Käufer doch kräftig mit, die eigentliche Bedeutung des Customizings zu verschleiern, die „wohl irgendwas mit echtem Schrauben“ zu tun haben soll. Gemeinsam erhöhen so beide Akteure unermüdlich die Strahlkraft des Begriffs CUSTOMBIKE1, machen ihn zusehends massentauglicher und kernentleeren dabei gleichzeitig den ursprünglichen Gehalt durch Weglassungen. (Was übrigens nicht nur zufällig an die dürftige Substanz gewohnt oberflächlicher tagesschau-Meldungen erinnert. Hier wie dort werden neue, künstliche Konstrukte im Mantel der alten in die öffentliche Wahrnehmung entlassen, während stete Wiederholungen der frohen Botschaft vergessen lassen, dass der eigentliche Gehalt längst über Bord geworfen wurde. Marketing halt.)

If you can’t build it, buy it!

Die hohe Kunst beim Verkauf vorgefertigter Custombikes ist folglich, deren ursprüngliche Natur nicht mehr ins Bewusstsein der Interessenten vordringen zu lassen, die hohe Kunst beim Kaufen, darauf reinzufallen und den Elefanten im Raum, den eigentlich jeder sieht, erfolgreich zu ignorieren. Jeder Roboter würde angesichts des offenen Widerspruchs zwischen Realität (so sieht die Welt aus) und Legende (so sollst du sie sehen) einen Kurzschluss bekommen, aber das ist es, was gutes Marketing ausmacht. Sie sorgt dafür, dass er ausbleibt, indem es Logik ignoriert, Realitäten aus dem Blickfeld rückt und stattdessen Illusionen triggert, die in der Folge das Geld in die Kassen spülen. In die Kassen herkömmlicher Motorradbauer, für die ‚Custombikes‘ ein weiterer Trend ist, aber auch in jene diverser Customschmieden, die sich darauf spezialisiert haben, umgestaltete Motorräder samt Merchandise an mehr oder weniger zahlungskräftige Kunden zu verkaufen. Am Ende dieses intellektuellen Heimlich-Manövers wird dann aus dem Traditions-Slogan älterer Schrauberseelen („If you can’t buy it, build it”) unhinterfragt das Gegenteil: „If you can’t build it, buy it”. Bei der international bekannten US-Bike-Schmiede ‘Orange County Choppers’ aus dem US-Bundesstaat New York reichte es sogar für mehrere Staffeln einer TV-Serie2, bei ‚Blitz Motorcycles‘ aus Paris immerhin noch für eine arte-Doku3.

Und trotzdem, ganz klar, die Realität ist von all dem völlig unbeeindruckt. Auch im Kino geht irgendwann das Licht wieder an und zeigt, was Sache ist. In diesem Fall, dass sich das Wesen eines Custombikes in dem Moment in Luft auflöst, in dem es erworben wird. Der kreative Prozess, der den oder die Erbauer(in) geleistet hat, ist offenkundig beendet und der passive Käufer erhält nicht mehr als einen Haufen Metall in Form eines Motorrads, das zufälligerweise nicht mehr so aussieht wie seine vom Laufband stammenden Kollegen. Einige schaffen es, sich mit Popcorn und Softdrinks in die nächste Vorstellung zu retten, aber letztendlich hilft nur, nach neuen Filmen zu halten – bzw. eine neues Bike zu erwerben und das alte für ein paar Jahre in der Garage zu parken oder zu verkaufen.

Oder?

Kommt drauf an. Für jemanden, der oder die nur Geld verbrennen will und kann, war es das tatsächlich. Für euch ist die Geschichte hier vorbei. Für die anderen gilt, dass Holland nicht gleich verloren ist, nur weil professionelle Marketingmaschinen ein lukratives Geschäftsmodell ausgewrungen haben. Das ursprüngliche Bild vom Custombike, das zweckentfremdet propagiert wird, existiert ja tatsächlich, und die Entscheidung, eines zu besitzen (= zu bauen) oder mit einem Konsumprodukt zufrieden zu sein (= zu erwerben) bleibt jedem selbst überlassen.

Dreh‘ um, den Spieß!

Weder das eine noch das andere ist übrigens ‚verkehrt‘ oder ‚besser‘, solange das eine nicht mit dem anderen verwechselt wird. Nur weil jemand weder Lust noch Zeit oder Schrauberkünste besitzt, heißt es nicht, dass er oder sie besser zu Fuß gehen sollte – aber aufhören, sich selbst ein ‚X‘ für ein ‚U‘ vorzumachen. Und bei der Gelegenheit generell mal überdenken, ob man nicht doch verborgene Talente hat, denn für diejenigen, denen dämmert, dass praktisch jedes Bike die Basis für ein neues, anderes ist, kann ein interessanter, kreativer Prozess beginnen, bei dem der Weg das Ziel ist. Egal, ob es sich bei dieser Basis um ein Serienmotorrad, ein gepimptes Brot-und-Butter-Mopped oder gar ein angekauftes, in die Jahre gekommenes Ex-Custombike handelt. So, wie es im Moment der Neuanschaffung aussieht, ist es die Null auf einer Skala von 1 bis 10, mit der ’11‘ als finale Gestaltwerdung. Der eigene Beitrag zur Custombike-Szene, sozusagen, der automatisch zurück auf ‚0’ springt, wenn das Bike verkauft werden sollte. Dann gilt wie zuvor bei einem selbst: Des Einen Endpunkt ist der Start des Anderen.

Willkommen an Bord!

PS:

Können handwerkliches Geschick, gesetzliche Vorgaben und vorhandene Ausrüstung wie Werkzeug und Zubehörteile nicht dem einen oder der anderen enge Grenzen setzen für das, was realisierbar ist? Auf jeden Fall, es interessiert nur niemanden. Du magst dich nicht so ausdrücken können, wie du es gerne hättest, es mag an Geld, Werkzeug oder gar Talent fehlen – aber du kannst mit dem arbeiten, was vorhanden ist. Hier gibt es kein Besser/Schlechter oder Hübscher/Hässlicher – auch wenn dies der Alptraum für alle Bewertungshansel ist, die gerne Rahmenbedingungen definieren, an denen andere sich auszurichten haben.


Hin- und Verweise

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