Motorrad, Kiffen, Führerschein

Seit dem 1. April ist es so weit: Der weite Weg der auslaufenden Boomer-Generation durch die Institutionen ist an seinem Ende angekommen. OK, bei der Entnazifizierung wurde zu sehr auf biologische Selbstreinigung gesetzt und ansonsten nur Kosmetik betrieben, auch beim Klima ist nicht so viel rumgekommen und ‚Frieden schaffen ohne Waffen‘ war offenkundig ebenfalls ein Rohrkrepierer. Aber beim Cannabis. Da hat es geklappt (donnernder Applaus) und die zu erwartenden gesellschaftlichen Umbrüche werden vermutlich weltbewegend sein. Real Life Woodstock, sozusagen, das zweite deutsche Sommermärchen. Ab hier wird alles besser.

Nun, das ist dem Land zu wünschen. An den Grenzen brennen die Hütten, innen fehlt das Heizmaterial und was die Zukunft sonst so bereithält, lässt sich bereits an den ehrlichen Gesichtern des aktuellen politischen Personals absehen. Da kommt eine Tüte Dröhnung gerade richtig, um das Poltern der Raketen draußen und die Wärme drinnen zu halten. Aber darum geht’s hier nicht. Die Frage des Tages ist eher praktischer Natur: „Kann die Tüte von gestern dafür sorgen, dass ich morgen meinen Führerschein verliere?

Kiffen ist ab sofort wie Alkohol trinken

Der Gesetzentwurf zur Legalisierung von Cannabis passierte im ersten Quartal 2024 Bundestag und Bundesrat, wurde vom Bundespräsidenten unterschrieben und erlangt zum 1. April 2024 Gültigkeit. Trotz des Datums kein Scherz: Ab diesem Zeitpunkt werden der Genuss von Cannabis und das Führen einer kleinen Menge straffrei sein und nicht mehr unter das Betäubungsmittelgesetz fallen.

Echt jetzt? Wie Alkohol trinken?

Naja, nicht so ganz. Im Privatbereich mehr oder weniger ja, im öffentlichen Straßenverkehr verbleiben jedoch Unterschiede, falls sich jemand nach dem Konsum genötigt sieht, unbeschwert mit dem Motorrad ein paar transzendentale Erfahrungen mit den Zentrifugalkräften zu genießen. Zum einen gibt es keinen vorgeschalteten Atemtest, der im Ernstfall die Blutprobe erspart. Stattdessen wird der unter Verdacht stehende Verkehrsteilnehmer gleich nach der üblichen Standardanrede „Haben Sie immer so kleine Pupillen“ zur Urinprobe gebeten.

Zum anderen existieren bislang keine kritischen Grenzwerte, an denen sich motorradfahrende Konsumenten halten können. Zwar etablierte sich in der Rechtsprechung der letzten Jahrzehnte ein Wert um die 1 Nanogramm THC pro Milliliter (ng/ml) Blutserum, ab dem man von einer generellen Verkehrsuntüchtigkeit spricht (in Bayern 2 ng/ml), aber ein eigens für dieses Gesetz gestrickter Wert soll erst im Laufe des Aprils 2024 nachgereicht werden.

Und drittens: Alkohol baut sich im Vergleich zu THC mit 0,1 bis 0,2 Promille pro Stunde rasant ab; THC benötigt Monate, bis es nicht mehr nachweisbar sein wird. Und wer weiß schon, wie viel von dem guten Suchtstoff die letzte Tüte enthielt und ab wann man wieder als clean gilt? Reicht ein Tag? Oder besser zwei? Drei? Oder noch mehr? Insbesondere Gelegenheitskonsumenten fehlen die entsprechenden Erfahrungswerte. Sich subjektiv wieder fit und unbeeinflusst zu halten, reicht dabei nicht, der THC-Gehalt kann auch mehrere Tage nach dem Genuss noch über dem aus der Rechtsprechung entlehnten erlaubten Grenzwerten liegen. Was zählt, ist der Wert des Urin- oder Bluttests. Und spricht der gegen den Fahrer oder die Fahrerin, wird es eng für ihn oder sie.

Deftige Strafen

Das Führen eines Kraftfahrzeugs unter dem Einfluss von Cannabis ist laut § 24a Straßenverkehrsgesetz eine Ordnungswidrigkeit und wer aktuell bei einer Kontrolle mit mehr als 1 Nanogramm THC pro Milliliter Blutserum gefahren ist, kann sich auf deftige Strafen einstellen. So muss ein Ersttäter mit 500 Euro Bußgeld, 2 Punkte in Flensburg und 1 Monat Fahrverbot rechnen. Wiederholungstäter sind beim zweiten Mal mit 1.000 Euro, 2 Punkte und 3 Monate Fahrverbot dabei und beim dritten Mal sogar mit 1.500 Euro (während Punkte und Fahrverbot bei 2 Einträgen und 3 Monate stagnieren). Dem nicht genug, können Versicherungen bei einem Schaden die Kaskoleistungen verweigern und Haftpflichtzahlungen vom Versicherungsnehmer zurückfordern.

Für Wiederholungstäter steht obendrein die bittere Pille ins Haus, dass automatisch angenommen wird, man sei Dauerkonsument – was wiederum den rechtlich zulässigen Grund zur Annahme bildet, dass die hohen Werte auf eine Sucht hindeuten. Ergebnis ist eine Einladung zur Medizinisch-Psychologischen Untersuchung (MPU), die mit weiteren 400 bis 800 Euro belastet ist und die Gefahr birgt, seinen Führerschein für einen sehr langen Zeitraum zu verlieren, weil nur diejenigen erfolgreich durchgewunken werden, die komplett sauber sind. Da THC vom Körper aber nur sehr langsam abgebaut wird und sich auch nach mehreren Monaten noch im Urin nachweisen lässt, besteht die Möglichkeit, auch nach 3 Monaten totaler Abstinenz beim medizinischen Teil des Tests durchzufallen.

Daumenregeln?

Daumenregeln zur Fahrtüchtigkeit nach Cannabiskonsum gibt es nur eigentlich keine, und wenn man sich eine ausdenkt, dann taugt sie im individuellen Fall bestenfalls und meist nur bedingt der eigenen Beruhigung. Die Realität sieht hingegen so aus, dass ein einziger Joint mit 1/3 Gramm Cannabis bei einem THC-Gehalt von 10 Prozent bei einem normal schweren Gelegenheitskonsumenten mehr als das Wochenende benötigt, um zum Wochenbeginn hin mit weniger als 1 ng/ml dazustehen. Ob das reicht, um guten Gewissens mit dem Motorrad zur Arbeit zu fahren? Fraglich. Als Fazit auf die Eingangsfrage verbleibt deshalb derzeit fast nur die banal nüchterne Erkenntnis, dass man oder frau sich für eine Sucht entscheiden sollte, will man das bessere Hobby nicht riskieren: Kiffen oder Motorradfahren. Sry.

Links

NDR: Cannabis-Legalisierung in Deutschland: Welche Regeln gelten?

Lesetipp: Wird mein Motorrad in Zukunft überwacht werden?

Keine Kommentare bislang

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Archive
Kategorien