Gestern waren wir noch native Internetausdrucker, heute dürfen wir (wenn auch mit Tücken) Motorräder sogar online anmelden und danach fröhlich via App warten. Das heißt, natürlich nicht richtig, mit Schraubwerkzeug und so, aber die Servicehefte, die beinhalten, was wann wie gemacht werden sollte, die werden mittlerweile gerne digital geführt.
Warum genau noch mal? Tja, warum eigentlich, was hebt ein digitales Serviceheft von seinem Papierkollegen ab, außer dass keine Bäume für ihn dran glauben mussten (die dann dem Kohlebagger weichen für den Strom, den die Digitalisierung nun mal benötigt)?
Vorteile digitaler Servicehefte für Motorradhersteller und Vertragswerkstatt
Für Werkstätten und Hersteller ist ein digitales Serviceheft eine willkommene Innovation. Es ermöglicht bessere Kontrollen über auszuführende Arbeiten, bindet die Kunden stärker an die Vertragswerkstatt und unterstützen dabei, unberechtigte Garantieforderungen abzuwehren sowie Tachomanipulationen zu verhindern. Auch helfen sie, lästige Konkurrenz außen vor zu lassen, denn neben Selbstschraubern, die den offiziellen digitalen Fahrzeugdokumenten nichts hinzufügen können, haben freie und Hinterhof-Werkstätten ebenfalls meist keinen oder nur einen kostenpflichtigen und obendrein limitierten Zugriff auf die herstellereigenen Wartungsplattformen. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt, wenn diese Zugänge obendrein auch noch unübersichtlich, störanfällig und zeitraubend sind.
Ein weiterer Vorteil: Elektronische Scheckhefte sind offen für weitere Schnittstellen, die sich nicht nur ums Abhaken regelmäßiger Wartungsaufgaben und interner Abläufe wie Terminvergabe kümmern, sondern recht weit darüber hinaus gehen.
Wie weit?
Zum Beispiel lassen sich mit nur wenig Aufwand Fahrzeugdiagnose-Tools integrieren, die via App ankündigen, was am Bike in Zukunft vorzunehmen sein wird. Sie können Fehlfunktionen detektieren und dank weiterer digitaler Schnittstellen (und bald auch mittels KI) Probleme diagnostizieren sowie die notwendigen Schritte zur Beseitigung vorschlagen – inklusive der voraussichtlich dafür benötigten Arbeitsstunden. Die Rechte an den Daten, die bei so viel Kundenbetreuung abfallen (und die man sich bei Fahrzeugübergabe großzügig hat übertragen lassen), sind dabei ein zusätzliches kleines Nebengeschäft.
Vorteile digitaler Servicehefte für Kunden
Für die Kunden selbst hat man demgegenüber eher Brotkrumen im Angebot:
- Ein digitales Serviceheft geht nicht verloren, kann nie verlegt werden und ist vielleicht sogar gut für die Umwelt, da es Papier sparen hilft.
- Ebenso ist es immun gegen Platznot bei Eintragungen sowie alle Ölkanister dieser Welt, die aus Versehen über die Papierkollegen geschüttet werden könnten.
- Und meint der Motorradhersteller es gut mit seinen Kunden, erlaubt er über eine Kunden-App fürs Smartphone die Überprüfung der Fahrzeugdaten auch durch den Besitzer, möglicherweise sogar die Überwachung von Fahrzeugsystemen, aber ganz sicher die Erinnerung an und die Buchung von Wartungsterminen.
- Ebenfalls möglich, wenn auch weniger verbraucherfreundlich: Solch eine App kann beim Überwachen des Fahrzeugs dummerweise die persönlichen Nutzungsumstände und das Fahrverhalten berücksichtigen, schaut dem Piloten also genau über die Schulter. Beim Anpreisen dieses Features heißt es zwar, dass sich so individuelle Wartungsempfehlungen geben lassen, aber gemeint es etwa dieses: “So wie du holzt, solltest du besser öfter bei uns vorbeischauen und die Garantie kannst du dir auch abschminken …“
Und was hat das mit mir zu tun?
Kaum etwas, wenn es dir egal ist, wie stark der Eingriff in deine Privatleben sein kann und du dein Bike sowieso rundum von einer Werkstatt pflegen lässt. Dann reicht ein Schulterzucken. Du kannst spätestens jetzt aufhören, weiter zu lesen.
Anders jene Biker, die sich vom Begriff Freiheit anstecken ließen. Für sie gehört selbstständige Pflege, Wartung und oft auch Reparatur eines Motorrads zum Fahren wie die Räder selbst. Sie werden die Einkreisung des individuellen Lebensgefühls ‘Motorrad’ durch Hersteller und andere Profiteure eher als Beengung erleben und das Führen eines Serviceheftes weiterhin traditionell erledigen wollen – auch wenn Gefahr besteht, dass physikalisch vorhandene Exemplare hier und da verschmutzt werden oder bei Verlust neu angelegt werden müssen.
Für sie klingt auch der nächste geplante Schritt in Sachen professionelle Wartungsoptimierung eher gruselig: die breite Überwachung der Fahrzeuge aus der Ferne, inklusive direkter Eingriffe bei anstehenden Wartungsmaßnahmen. Bislang noch als spezielles Feature für Unternehmen angepriesen, die eine Fahrzeugflotte unterhalten (wohl in Asien, da hierzulande außer Verkehrspolizei und ADAC kaum jemand eine Motorradflotte besitzt), sollen Fahrzeuge dann von der Zentrale aus in Echtzeit überprüft und gewartet werden können. Feuchte Träume für Konzerne wie Amazon, die ihre Paketboten bereits jetzt lückenlos überwachen, und Alpträume für alle noch selbstständig Denkenden, denen die genutzten Techniken die Haare zu Berge stehen lassen …
Und holla, jetzt die große Überraschung: Ein garantiert nicht digitales Serviceheft bekommst du … hier:
Links
Für die Gläubigen hat das Kradblatt übrigens ein paar Infos zusammengetragen: Moderne Fahrzeugwartung: Tools und Tipps für digitale Servicehefte
ADAC: Digitales Serviceheft: Vor- und Nachteile im Praxistest






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