
Fahrassistenzsysteme für Motorräder dienen in erster Linie der Fahrsicherheit durch unterstützende Maßnahmen hinsichtlich der Beherrschbarkeit einer Maschine.
Wer über Traktion (engl. Grip) redet, sollte über Schlupf (engl. Slip) nicht schweigen, der überall dort zu finden ist, wo Ersterer verloren geht. Während Traktion simpel für die Haftung eines Reifens auf dem jeweiligen Untergrund steht (bspw. Asphalt, Beton, Sand, Geröll, Matsch etc.), ist Schlupf das natürliche Gegenteil: der Gripverlust. Leuchtet auch sofort ein, wenn man seine eigenen Erfahrungen ins Spiel bringt: Auf Asphalt ist der Grip größer und der Slip kleiner als bspw. im Matsch, wo demgegenüber der Slip stärker ausgeprägt ist und der Grip geringer.
Grob umrissen, sorgt die eine Kraft dafür, dass du auf der Straße (dem Sand, Geröll etc.) bleibst, während die andere für eine Rutschpartie verantwortlich ist. Akkurater formuliert, bezeichnet der Schlupf die Abweichung der Geschwindigkeiten von Reifen (Umdrehungsgeschwindigkeit) und Fahrbahn (tatsächliche Fahrgeschwindigkeit), die miteinander über Reibung in Kontakt stehen. Gibst du beispielsweise Gas beim Anfahren, dreht sich das Rad ein Ticken schneller, als die tatsächliche Fahrgeschwindigkeit beträgt. Dieser Ticken ist der Schlupf.
Angegeben wird Schlupf in Prozent. Beim Auskuppeln während der Fahrt rollt das Motorrad unbehelligt von Antrieb und Bremse und die Umdrehungsgeschwindigkeit der Räder beträgt annähernd die tatsächliche Fahrgeschwindigkeit. Der Schlupf liegt in diesem Fall bei 0 %. Demgegenüber beträgt bei einem Burnout (Gas geben bei angezogener Handbremse) die tatsächliche Geschwindigkeit 0 km/h, während die Umdrehungsgeschwindigkeit des Hinterrads sehr hoch ist. Der Schlupf beträgt in diesem Fall 100 %.
Gripverlust und Schlupfarten
Gripverlust entsteht immer dann, wenn der Schlupf die Haftfähigkeit der Reifen auf dem jeweiligen Untergrund übersteigt, und kann sich jederzeit ereignen: bei rutschiger Fahrbahn (Regen, Schnee, nasse Blätter, Eis, Rollsplit, nasses Kopfsteinpflaster, Matsch etc.) und bei unangemessener Fahrweise (zu kalte Reifen, überalterte Reifen etc.) ebenso wie bei gewollt Slip-provozierender Fahrweise (Ampelstart, Burnout, Offroadsport).
Unterschieden wird Schlupf in Beschleunigungs-, Brems- und Querschlupf. Beim oben angesprochenen Burnout handelt es sich um einen Beschleunigungsschlupf , weil das Motorrad stillsteht, obwohl das Rad sich dreht. Blockieren hingegen bei einer Bremsung die Räder, handelt es sich um einen Bremsschlupf, weil das Rad still steht, das Motorrad sich aber immer noch fortbewegt.
Querschlupf kann auftreten, wenn du in Schräglage in der Kurve bzw. beim Herausbeschleunigen aus einer Kurve zu viel Gas gibst. Hierbei steigt der Schlupf an, im Extremfall bis zum Komplettverlust der Haftung mit anschließender Rutschpartei, eventuell bis zu einem Highsider.
Highsider
Bei einem Highsider steigt der Schlupf beim Beschleunigen in Schräglage an und zwingt das Bike in eine stärkere Querlage zur Fahrbahn. Verliert das Hinterrad in dieser Situation temporär die Haftung und rutscht seitlich weg (beispielsweise auf einer regennassen Fahrbahn), kann es passieren, dass durch die Querlage (und/oder erschrockenes Gaswegnehmen) genügend Last reduziert wird, so dass sich der Grip wieder aufbaut. Resultat: Das in Querlage rutschende Fahrzeug stellt sich urplötzlich quer zur Rutschrichtung auf und schleudert den Fahrer durch die Luft.
Lowsider
Ein Lowsider ist im Vergleich zum Highsider ein weniger fataler Sturz, der über das Vorderrad passiert. Hierbei wird die Front in der Schräglage zu stark belastet, das Vorderrad klappt ein und das Bike fällt auf die Seite der Schräglage.
Im Vergleich zum Highsider bleibt es oft bei einer verhältnismäßig ‚harmlosen‘ Rutschpartie, dies gilt aber oft nur für Unfälle auf Rennstrecken mit Auslaufflächen. Im Alltag kommt es hingegen nicht nur darauf an, wie schnell man unterwegs war, sondern auch darauf, wie die Umgebung gestaltet ist (Bäume, Leitplanken, Gräben, Gegenverkehr, etc.).
Chattering
Chattering ist die Bezeichnung für ein Grip-Problem, das im Zuge der Reifenentwicklung entstanden ist. Mit dem Bestreben, immer haftfähigere Gummis in immer steiferen Karkassen anzubieten, nahm und nimmt man in Kauf, dass (auch gerade dank des hohen Gripvermögens) ein Rad nicht mehr konstant wegrutscht, wenn die Haftfähigkeitsgrenze erreicht ist. Im Gegenteil rutscht der Reifen beim Chattering nicht mehr gleichmäßig über den Untergrund, sondern er geht in eine schwer zu kontrollierende pulsierende Bewegung über, springt sozusagen punktuell über die Fahrbahnoberfläche.
Hopping
Wer beim Wort ‚Hopping‘ jetzt ans Hoppeln denkt, liegt gar nicht so verkehrt. Hopping entsteht, wenn beim Anbremsen frühzeitig in einen Gang heruntergeschaltet wird, der der aktuellen Geschwindigkeit nicht angemessen ist. Hierbei kommen zwei Dinge zum Tragen: Zum einen wird durch den Bremsvorgang das Hinterrad entlastet und verliert Traktion. Zum anderen liegt beim schnellen Auskuppeln in einen zu kleinen Gang abrupt die Drehzahl des Motors am Hinterrad an, das daraufhin durch die Motor-Bremswirkung einen erhöhten Schlupf erzeugt. Meist so hoch, dass das Hinterrad blockiert. Geschieht dies beispielsweise beim Anbremsen vor einer Kurve, sind durchaus ein paar dieser Hüpfer möglich – sofern der Fahrbelag trocken ist.
Schlupfregulierung
Als grobe Richtlinie für einen erstrebenswerten Schlupf gelten um die 20 %. Hier hat der Reifen eine maximale Bodenhaftung, die er sowohl bei einer Gefahrenbremsung als auch beim Anfahren auf schlüpfrigen Fahrbahnoberflächen oder mit zu viel Gas verlieren kann. Bis zur Einführung verschiedener Technologien zur Schlupfregulierung, war es in weiten Teilen dem Fahrkönnen und der Fahrerfahrung geschuldet, ob Gripverluste auftraten bzw. dem Glück/Pech bzw. dem Zufall, wenn verschiedene Faktoren aufeinandertrafen (Regen, Eis etc.). Seit Einführung von Fahrassistenten wie ABS (Antiblockiersystem) und ASR (Antriebsschlupfregelung) springen elektronische Schlupfregulierungen den Fahrern helfend zur Seite, beim ABS durch Bremsdruckreduzierung auf Vorder- und Hinterrad, beim ASR durch Antriebsreduzierung am Hinterrad.
Bei beiden Systemen messen Sensoren ständig die Raddrehzahlen, vergleichen sie miteinander und errechnen so den aktuellen Schlupf für jedes Rad zu jedem Zeitpunkt. Wird eine kritische Grenze erreicht (Blockieren beim Bremsen, Durchrutschen beim Anfahren), greift der jeweilige Assistent ein. Beim ABS bedeutet dies eine Reduzierung des Bremsdrucks, wenn der Schlupf hoch, sowie eine Steigerung des Bremsdrucks, wenn er wieder abgefallen ist. Dies ist der Regelbereich des ABS, den du als Fahrer als Stottern der Bremse wahrnimmst. Bei der ASR ist das Prinzip ganz ähnlich, nur dass in die Leistungs abgabe eingegriffen wird. Droht ein Gripverlust, reduziert der Assistent die Kraftübertragung zum Hinterrad, damit es nicht durchdreht.
Grenzen von Assistenzsystemen
Fahrassistenten bergen starke Sicherheitsvorteile, wo ein Fahrer vorher auf Erfahrung, Können oder Glück angewiesen war. Gänzlich verhindern lassen sich Unfälle aufgrund von Gripverlust hingegen nicht. Kein Kurven-ABS kann in Situationen helfend eingreifen, in denen Räder auch ohne Bremsung wegrutschen würden. Weshalb die Anbieter von MSC-Lösungen (siehe unten) prinzipiell statt von ‚Verhinderung‘ auch nur von ‚positiver Beeinflussung‘ reden.
Jede Traktionskontrolle ist nur so gut, wie FahrerIn und Bike es zulassen. Erstere (Piloten) benötigen allen technischen Hilfestellungen zum Trotz immer noch Fahrgefühl und antrainierte Erfahrung, Letztere (Bikes) ein gut abgestimmtes Fahrwerk. Die Fahrassistenten sind dann die willkommenen ‚Little Helper‘, die (meist in verschiedenen, individuell bestimmbaren Ausprägungsstufen) unauffällig im Hintergrund auf ihren Einsatz warten und ansonsten dazu dienen, dass sich die Piloten ohne Angst an ihre persönlichen Limits herantasten können. Dann ist der Weg auch nicht mehr weit, die Techniken wie erfahrene Piloten als fahrdynamische Ansätze zu nutzen, um die Leistungsabgabe eines Bikes zu perfektionieren und auf den Untergrund zu bringen – egal welchen.
Fahrassistenten
Antiblockiersysteme (ABS)
Antiblockiersysteme (ABS) werden nicht von allen zu den Fahrassistenten gezählt, gehören aber trotzdem zu den ersten elektronisch geregelten Fahrhelfern für Motorräder und sollen deshalb Erwähnung finden. Sie entsprechen in ihrer Funktion im Wesentlichen denjenigen, die in Autos verbaut sind und sind in der Europäischen Union seit 2016 für Motorräder gesetzlich vorgeschrieben.
Ein Motorrad-ABS erfasst in der einfachsten Form über Sensoren im Vorder- und Hinterrad die Drehzahlen beider Räder, analysiert diese und berechnet darüber den Schlupf der Räder. Unterscheiden sich die Drehzahlen, beispielsweise weil bei einer harten Bremsung ein Rad langsamer dreht als das andere (oder eines bei Bremsung auf nasser Fahrbahn stillsteht), greift die Hydraulikeinheit des Bremssystems ein, öffnet ein Ventil und verringert den Bremsdruck an jenem Rad, das sich nicht der Eigengeschwindigkeit des Motorrads entsprechend dreht.
Kurven-ABS
Bei der Weiterentwicklung des Systems, dem Kurven-ABS, verwertet das Bike neben dem Schlupf der Räder auch die aktuelle Schräglage des Motorrads, die über Gyro-Sensoren vermittelt wird, und verringert unter Berücksichtigung der Seitenführungskraft den Bremsdruck bei einer Gefahrenlage.
Supermoto-ABS
Eigentlich überhaupt kein ABS, sondern eine besondere Form, mit einem größtenteils deaktiviertem ABS die eigene Fahrzeugbeherrschung zu demonstrieren, versetzt das Supermoto-ABS den Fahrer in die Lage, bspw. in Kurven zu sliden. Hierbei ist das Fußbremsen-ABS vollständig deaktiviert, während das Vorderrad-ABS (meist heruntergefahren) aktiv bleibt. Ebenfalls deaktiviert ist die Abhebekontrolle des Hinterrads (Stoppie Control) und das Kurven-ABS sowie, falls vorhanden, die Motorrad-Stabilitätskontrolle (MSC).
Traktionskontrollen
Als Traktionskontrollen werden weitgehend elektronisch geregelte Fahrassistenten zur Überwachung der Hinterrad-Reifenhaftung bezeichnet, später dann auch im Verbund mit weiteren technischen Helfern wie dem ABS. Gängige Bezeichnungen sind unter anderem Antriebsschlupfregelung (ASR), Automatische Schlupfregelung , Aktive Schlupfregelung sowie DTC ( Dynamic Traction Control), TCS (Traction Control System ), ETC (Electronic Traction Control System), MTC (Motorcycle Traction Control) und BTCS (Brake Traction Control System) – je nachdem, wie ein Hersteller sein Produkt von der Konkurrenz abzuheben versuchte.
Bei einer Traktionskontrolle greift eine Software in die Kraftübertragung ein, wenn die Reibung zwischen Reifen und Untergrund einen im Assistenten hinterlegten Wert unterschreitet (= Gripverlust). Damit soll vermieden werden, dass das Hinterrad durchdreht und zu einem Sturz führt, bspw. wenn mit unangemessen hoher Gasdosierung angefahren wird, so auf nasser Fahrbahn, weichem Boden, auf Schnee, Eis oder Kopfsteinpflaster. Ermittelt wird die Grip-Abweichung über den Motor (Drehmoment), den Bremsen (ABS-Sensoren) oder über beide Komponenten gleichzeitig. Bekommt die Traktionskontrolle ihre Daten einzig über die Bremsen, ist dessen Funktionalität auf Anfahrsituationen begrenzt. Nur eine Traktionskontrolle, die (auch) über den Motor gesteuert wird, arbeitet unabhängig von der Geschwindigkeit.
Slide Control
Als unterstützende Traktionskontrolle soll Slide Control bzw. Stability Control dem Fahrer helfen, ein ausbrechendes Heck unter Kontrolle zu bringen. Meist ist sie in unterschiedlichen Stufen regelbar bzw. lässt sich zumindest ausschalten, um gewollte Drifts oder Powerslides ausführen zu können.
MSC (Motorrad-Stabilitätskontrolle)
Die von Bosch entwickelte Motorrad-Stabilitätskontrolle (MSC ) ist eine Weiterentwicklung des hauseigenen ABS-Verbundbremssystems, bei dem Hinter- und Vorderradbremse zusammengeschaltet sind und für beide Räder die bestmögliche Bremskraft ermittelt und angewendet wird, unabhängig davon, ob nur die Hand- oder Fußbremse betätigt wird.
Als eine Einheit aus Antiblockiersystem und Traktionskontrolle stabilisiert MSC das Bike in kritischen Situationen beim Beschleunigen und Bremsen. Ein zusätzlicher Schräglagensensor öffnet das System obendrein für Kurvenfahrten, so dass auch starke Schräglagen abgedeckt sind. Hierfür greift es mehr als 100-mal pro Sekunde die von den Sensoren gelieferten Informationen ab.
Laut Bosch erlaubt MSC sowohl die bestmögliche Verzögerung in Kurven als auch kontrolliertes Beschleunigen auf schwierigen Fahrbahnen, während die ebenfalls über Sensoren abgegriffenen Werte für Nickrate und Längsbeschleunigung ein abhebendes Hinter- oder Vorderrad erkennen.
Das auch von Bosch entwickelte MTC (Motorcycle Traction Control ) ist eine schräglagenabhängige Schlupfregelung, die an das MSC gekoppelt eingreift, wenn ein Reifen in Kurven an Traktion verliert.
Wheelie Control
Wheelie-Control sorgt dafür, dass das Vorderrad bei starkem Gasgeben und/oder ungünstiger Gewichtsverteilung nach hinten nicht über einen vorgegebenen Betrag vom Boden abheben kann. Erkennt das System eine Überschreitung, greift es in die Gasannahme ein und erlaubt nicht mehr, als für eine maximal effektive Anfahrt notwendig ist.
Umgekehrt kann die Technik (zumindest bei den Wheelie-Assistenzsystemen von Bosch und Continental, verbaut bspw. in KTM 1390 Super Duke R, Triumpf Street Triple 1200 RS und Ducati Hypermotard 698 Mono) auch dazu genutzt werden, ein Vorderrad so lange wie möglich in der Luft zu halten, ein Wheelie also gezielt zu erzwingen und dabei einen Überschlag nach hinten zu vermeiden.
Launch Control
Launch-Control gehört zur Gruppe der Wheelie-Control-Fahrassistenten und sorgt für eine maximal mögliche Beschleunigung aus dem Stand heraus, ohne dass hierbei das Vorderrad den Bodenkontakt verliert, also eine Raddrehzahl anliegt, die das Bike mit optimalem Schlupfgrad beschleunigt. Hierbei handelt es sich in aller Regel um ein System, das sich auf eine Drehzahlbegrenzung während des Anfahrens beschränkt und sich dann automatisch bei Erreichen einer bestimmten Geschwindigkeit abschaltet. Bei teuren Ausführungen ist auch die Kupplung (zusätzlich zu diversen Eingriffen in die Gemischaufbereitung) in den Vorgang involviert.
Ist der Assistent aktiviert, kann der Pilot mit weit aufgerissenem Gas durchstarten (Rennstart), ohne einen Kontrollverlust befürchten zu müssen. Das Motordrehmoment wird automatisch in einem Bereich reduziert, der einen maximalen Vortrieb ermöglicht. Wird Vorderradabheben erkannt, verringert die Automatik für einen kurzen Moment die Drehzahl.
Ab einer bestimmten, einprogrammierten Geschwindigkeitsgrenze schaltet sich der Assistent ab, in den teureren Ausführungen auch beim Einlegen des dritten oder vierten Ganges, einer Schräglage über einem bestimmten Wert und beim Ausschalten des Motors oder der Zündung. (Das heißt, wer an diesen Bikes Launch-Control nutzen möchte, muss dies immer ausdrücklich einschalten. Der Grund liegt darin, dass die Kupplung sehr stark gefordert wird und zu viele Rennstarts nacheinander nachteilige Auswirkungen haben.)
Stoppie Control
Während beim Wheelie das Vorderrad überwacht wird und die Eingriffe in die Gasannahme dafür sorgen, dass das Vorderrad am Boden bleibt, liegt beim Stoppie der umgekehrte Fall vor. Hier hilft der Stoppie-Control-Assistent (bzw. Rear Lift Control) durch Regulierung des Bremsdrucks dafür, dass das Hinterrad beim starken Bremsen nicht abhebt.
Nutzen von Wheelie- und Stoppie-Control
Profitieren können von einer Abhebekontrolle Fahranfänger und Profis gleichermaßen. Während Ersteren die Gewöhnung an leistungsstarke Maschinen erleichtert wird, greifen Letztere im Rennsport bevorzugt und bewusst zu beiden Techniken und bringen sie zum Einsatz, um bei wechselnden Umgebungen (Kurven, Hügel) die größtmöglichen Beschleunigungs- und Bremswerte erreichen zu können.
Anti-Hopping:
Anti-Hopping-Kupplungen, die bei Rennmotorrädern mittlerweile nahezu flächendeckend angetroffen werden, trennen die Kraftübertragung nicht schlagartig, sondern weich und erzeugen so einen gewissen internen Schlupf, der verhindert, dass die Kraft direkt aufs Hinterrad wirkt. Mit Anti-Hopping-Kupplungen sind schnelles Herunterschalten und Auskuppeln möglich, während das Bike ruhig, stabil und ohne Heckstempeln auf der Bremse liegt. Im normalen Straßenverkehr konnten sich Anti-Hopping-Kupplungen wegen der erhöhten Fahrsicherheit wenig überraschend insbesondere bei hubraumstarken Sportmotorrädern mit zwei Zylindern durchsetzen (da diese von Natur aus eine spürbar größere Motorbremse haben).
Back Slip Regulator (BSR): Die BSR-Technik wird von einigen Herstellern angewendet, um eine verbaute Anti-Hopping-Kupplung zu ergänzen. Sie begrenzt in kritischen Situationen das Motorbremsmoment.
Ride-By-Wire
Ride-by-Wire ist das moderne Äquivalent zum traditionellen Gaszug, alternative (meist Hersteller-spezifische) Bezeichnungen sind Eletronic Throttle Control (ETC), Drive by Wire (DBW ) oder Throttle-by-Wire. Die Dosierung der Leistungsabgabe erfolgt hier statt über einen herkömmlichen Bowdenzug über ein Potenziometer, ähnlich einem Musikanlagen-Verstärker. Das Potenziometer sitzt im Gasgriff und meldet die Änderungswünsche der Fahrerin zunächst an die ECU, die wiederum die für den Gaswunsch nötigen Drosselklappenstellungen einleitet. Eine direkte Verbindung zu den Drosselklappen, wie beim Zugsystem, besteht nicht mehr.
Vorteil: Die Gasannahme kann einprogrammiert und starken Lastwechseln die Zähne gezogen werden. Damit ist das System auch gut geeignet, als Anfahrtshilfe für Motorräder mit sehr viel Leistung zu dienen. Die Verbindung beider Techniken ermöglicht es, die Drehmomententfaltung des Motors komplett vorprogrammiert und an die Fahrwerksgeometrie angepasst in der ECU zu hinterlegen.
Weitere elektronische Fahr- oder zumindest unterstützende Sicherheitsassistenten sind:
Fahrmodi
Motormappings:
Motormappings sind Sätze von Einstellungen im Motorsteuergerät, die über die Einspritzung direkten Einfluss auf die Leistungsabgabe haben. So regelt die Steuerung bei Regen bspw. die Leistung herunter, damit das Bike auf nasser Fahrbahn verhaltener beschleunigt, während bei trockener Umgebung alles auf die Straße gebracht wird, was der Motor hergibt.
Power Commander:
Der
Power-Commander von DynoJet ist ein elektronisches Add-on zur Leistungsbeeinflussung. Hierbei handelt es sich um ein Modul samt eigenem kleinen Kabelbaum, das zwischen Einspritzung und ECU verbaut wird und über das sich die Einspritzwerte verändern lassen (Mapping).
Zu diesem Zweck bringt das Gerät eine Sammlung fertiger Kennfelder (sogenannte Maps) mit, beispielsweise für alle gängigen Auspuffanlagen oder zur Abstimmung der Gemisch-Elektronik bei Nachrüst-Traktionskontrollen. Die jeweils passende Map wird vom Anbieter vor dem Versand aufgespielt. Fehlen ihm die Grundlagen für ein Bike oder Zubehör-Bauteil müssen die passenden Werte vom Kunden ermittelt werden, idealerweise auf einem Prüfstand.
Großer Vorteil des Elektro-Add-on: Das neue Mapping wird nicht permanent in der ECU abgelegt und die serienmäßigen Werte eines Bikes erlangen sofort mit Entfernung des Power-Commanders wieder Gültigkeit. Großer Nachteil: Da das Add-on einen Eingriff in Abgasverhalten und Motorleistung darstellt, erlischt die Betriebserlaubnis bis zur erfolgreichen Abnahme durch eine Prüforganisation und eine Eintragung in die Fahrzeugpapiere.
Automatische Fahrwerksanpassung:
Wo sich Motorradfahrer früher generell zur Manipulation des Federungssystems mindestens mit einem Hakenschlüssel bewaffnen und möglichst zig Kombinationen aus Federung/Dämpfung/hinten/vorne auswendig kennen mussten, reicht heute der Druck aufs Knöpfchen. Dann regeln Stellmotoren die Federvorspannung und die Dämpfung von Gabel und Federbein automatisch neu aus, um das Bike an unterschiedliche Beladungen und Untergründe anzupassen. Sogenannte ‚aktive Fahrwerke‘ benötigen nicht einmal mehr den Piloten, sie justieren das Ansprechverhalten des Federungssystems selbsttätig an Tempo und Fahrbahnoberfläche aus.
Das Zusammenspiel von Traktionskontrollen, ABS, Motormappings und automatischer Fahrwerksanpassung mündet bei modernen, meist teuren, Motorrädern in vom Fahrer auswählbare Fahrmodi. Ein Beispiel ist die Einstellung ‚Sport‘, um die volle Motorleistung abzurufen und auf den Untergrund zu bringen (bspw. durch zurückhaltende Traktions- und Bremskontrollen und angepasstem Federungs- und Dämpfungsverhalten). Ein anderes Beispiel ist ‚Enduro‘, bei der Einstellungen greifen, die vorteilhaft im Gelände sind: Das hier eher störende ABS wird verzögert (vorne) oder gar komplett abgeschaltet (hinten), die Dämpfung reduziert und die Traktionskontrolle (sofern regelbar) soweit heruntergeregelt, dass Drifts möglich werden. Ebenfalls oft zu finden: ‚Regen‘, eine Voreinstellung, bei der ABS sowie Traktionskontrolle sensibler reagieren, während die Gasannahme sanfter ausgestaltet ist.
Wer es hingegen lieber individuell mag, wird meist auch darin unterstützt, entweder, indem die kleinen Helfer abgeschaltet oder manuell einzeln eingestellt werden. Allerdings: Bei einigen Modellen sind extrem viele Kombinationsmöglichkeiten realisierbar, so viel, dass bei all den unterschiedlichen Traktionskontrollen, Abhebestoppern, ABS und weiteren Gimmicks schnell der Überblick verloren geht. Erst recht, wenn die Einstellungen über Lenkerschalter vorzunehmen sind. Eine Smartphone-Anbindung mit Hersteller-spezifischer App bringt da Erleichterung ins Spiel.
Sonstige Gimmicks
E-Clutch
2023 von Honda auf der Mailänder EICMA-Motorradmesse vorgestellt, soll die E-Clutch die Betätigung der Kupplung überflüssig machen. Im Prinzip übernimmt die auf Quickshiftern, DCT-Doppelkupplungsgetrieben und halbautomatischen bzw. normalen Kupplungen basierende Technologie das Ein- und Auskuppeln komplett, Honda belässt bei seinen für 2024 geplanten ersten Modellen (CBR650R, CB650R, Rebel 250, CL250) aber den Kupplungshebel an alter Stelle. Damit soll den Fahrern die Möglichkeiten gelassen werden, eigenständig anzufahren, anzuhalten und die Gänge zu wechseln. Die E-Clutch passt sich den jeweiligen Gegebenheiten dabei automatisch an, gesteuert wird sie über die Motorradelektronik, erlaubt dabei drei Stufen der Gangwechsel-Anpassung (Hard, Medium, Soft) und warnt via LED, wenn der Fahrer in einem unangepassten Gang fährt. Der Schalthebel muss wie gewohnt betätigt werden – im Gegensatz zu vollautomatischen Getrieben wie der Dual Clutch Transmission ( DCT), ebenfalls von Honda, wo auch der Wechsel der Gänge automatisch erfolgen kann.
Bei anderen Motorradherstellern sind ähnliche Ansätze zu finden. So bietet Yamaha das voll automatisierte Y-AMT-System an, BMW den Automated Shift Assistant (ASA) und KTM die Automated Manual Transmission ( AMT).
Automatisiertes Schaltgetriebe
Bei einem automatisierten Schaltgetriebe wie das Y-AMT von Yamaha befehligt ein Steuergerät über verschiedene Stellmotoren die Kupplung und die Schaltwalze, um Gänge zu wechseln. Die bislang üblichen manuellen Komponenten, also der Kupplungshebel am Lenker und der Schalthebel an der Fußraste, entfallen. bei entsprechend ausgerüsteten Modellen. Maximal wird für Eingriffe seitens des Fahrers ein Schalter an der linken Schalterarmatur verbaut sein, über den sich in einem manuellen Fahrmodus die Gänge per Knopfdruck hoch- bzw. runterschalten lassen.
CVT/Variomatik
Stufenlose Variomatik-Getriebe findet man jenseits der Roller-Welt sehr selten, ein Beispiel ist die V2 Aprilia Mana, während die teilautomatischen Lösungen (noch) bevorzugt werden, so wie das oben beschriebene Y-AMT, BMWs ASA-System und AMT von KTM.
Immerhin, von CFMoto stammt ein Patent für ein CVT-Getriebe, das stufenlos mit zwei Riemenscheiben arbeitet, wobei die eine über eine Fliehkraftkupplung mit dem Motor verbunden ist und die andere mit einer Kardanwelle. Verbaut werden soll das Getriebe in einen DOHC-Parallel-Twin. Ein bereits realisiertes Projekt stammt vom chinesischen Anbieter Lifeng, allerdings eines, das satte 355 kg auf die Waage bringt und mit mageren 71 PS auskommen muss.
Spurhalte-Assistent
Bei Honda befindet sich der Spurhalte-Assistent in Planung, der sich gezielt gegen Seitenwindeinflüsse richten soll. Das System basiert auf einer servounterstützten Lenkeinheit, die hinter dem Lenkkopf angebracht wird und dem Bordcomputer erlaubt, via Lenkungsdämpfer und autonomem Steuersystem in die Lenkung einzugreifen. Die Windkompensation basiert auf den Input verschiedener Sensoren, die es dem Rechner erlauben sollen, die Absichten des Fahrers richtig zu interpretieren.
Hill Hold Control (HHC)
Hill Hold Control (HHC) oder Berganfahrhilfe ist ein Assistenzsystem, mit dem das Anfahren an Steigungen erleichtert werden soll. Das System erkennt mittels Sensoren, ob sich das Motorrad an einer Steigung befindet und zum Stillstand gekommen ist. Wird die Bremse wieder losgelassen, hält HHC den Bremsdruck automatisch im Hinterradbremssystem aufrecht, so dass das Motorrad am Hang stehenbleibt und nicht rückwärts rollt.
Gibt der Fahrer wieder Gas bzw. lässt die Kupplung kommen (je nach System und Getriebe), löst das System sanft den Bremsdruck, damit ohne Zurückrollen angefahren werden kann.
Kupplung für E-Bikes
Den umgekehrten Weg zum Quick-Shifting bei Verbrennern (Schalten ohne Kupplung) sieht eine Patentanmeldung von Zero Motorcycles für Elektromotorräder vor: eine Kupplungssimulation, die zum Ziel hat, Fahrern von E-Bikes ein Äquivalent zum klassischen Fahrgefühl mittels Schaltgetriebe zu bieten.
Zeros Technik sieht vor, via ‚Kupplungsbetätigung‘ das Drehmoment und die regenerative Bremswirkung sehr fein steuern zu können und so das Motorrad insbesondere bei niedrigen Geschwindigkeiten und anderen Fahrsituationen, die mehr Präzision erfordern, beherrschbarer zu machen. Hierbei bewirkt das Loslassen des Kupplungshebels eine Erhöhung des Drehmoments, die als ähnlich zum herkömmlichen Auskuppeln bei Verbrennern empfunden wird.
Radarbasierte Systeme
Motorräder mit Front- und Rear-Radar (sogenannte Emitter) sorgen auf zusätzliche Weise für mehr Sicherheit:
Dive & Squat
Beim starken Abbremsen, ob plötzlich in Notsituationen oder bewusst bei schnellem Fahren, tritt das Phänomen auf, dass die Vorderradfederung stark eintaucht und gleichzeitig das Heck an Traktion verliert, das sogenannte Dive. Bedingt ist dies durch die meist unbewusste Fokussierung auf die Vorderradbremse, die sich besser und feinfühliger kontrollieren lässt. Umgekehrt wird beim Beschleunigen die Hinterradfederung zusammengepresst und die Front entsprechend entlastet: der Squat.
Anti-Dive & Squat-Control:
Ein neues Patent von Yamaha beinhaltet die Kontrolle der beiden Phänomene Squat und Dive. Realisiert werden soll dies über ein Bremsenkontrollsystem, das (wie Integralbremsen) mit der Vorderrad- auch die Hinterradbremse anspricht sowie einer Federungskontrolle, die gleichzeitig mit dem Bremsmanöver (bzw. der Beschleunigung) Anpassungen an der Federung vornimmt. Hierzu gehören bspw. an der Gabel die Steigerung der Federreaktionskraft sowie eine Dämpfungskrafterhöhung in Kompressionsrichtung und am Heck die Verringerung der Federreaktionskraft sowie die Erhöhung der Dämpfungskraft in Expansionsrichtung. Damit will Yamaha einen fahrtechnischen Gewinn im Spannungsfeld zwischen weicherer Federung (= bessere Traktion) und härterer Federung (= präzisere Streckenführung) erreichen.


